Den Krebs besiegt

Als Kind hatte Jana* Blutkrebs. Jetzt ist sie 29, völlig gesund, steht mit beiden Beinen mitten im Leben und hilft als Ergotherapeutin anderen Menschen.

Mit zwölf hatte Jana das erste Mal Leukämie. Es begann mit unzähligen blauen Flecken an den Unterschenkeln, die plötzlich da waren. Sie war immerzu schlapp und so still, dass ihre Eltern mit ihr zum Hausarzt gingen. Der Arzt meinte nur, die Milz sei vergrößert. In der Milz landen die abgebauten Blutplättchen und werden wie auf einer Müllhalde verwertet. Die Eltern wussten gleich, was Sache ist. Janas Cousine, die sie nie kennengelernt hat, war an Leukämie gestorben.

Für sie war Krebs damals, wenn jemand eine Glatze hatte. Sie dachte: OK, ich werde eine Glatze bekommen. Ans Sterben dachte sie nicht. Nach der Diagnose kam sie schnell ins Krankenhaus. Von Traunstein wurde sie nach München verlegt. Und da ging es los mit der Chemotherapie. Die Behandlung dauerte knapp ein Jahr.

Schattenseiten der Therapie

Die Medikamente, die verabreicht werden, sind stark. Sie töten die kranken Zellen ab, allerdings auch die gesunden. Deshalb haben Krebspatienten häufig starke Nebenwirkungen. Jana musste sich oft übergeben, konnte wenig essen, hatte extreme Stimmungsschwankungen.

Das Schlimmste war jedoch die Isolation. Mit ihren Eltern, ihrem jüngeren Bruder und ihren zwei älteren Schwestern ist die gebürtige Altöttingerin in Garching an der Alz aufgewachsen. Familie ist ihr wichtig. Während der Chemotherapie durften ihr Bruder und ihre Schwestern nicht auf die Station, sie waren zu jung damals. Und sie durfte nicht hinaus wegen der Ansteckungsgefahr. Das Immunsystem war so geschwächt – schon kleine Infekte wären katastrophal gewesen. Eine Gratwanderung: Das Immunsystem darf nicht zu stark werden, sonst wuchert der Krebs. Es darf aber auch nicht zu schwach sein, sonst „packt der Körper die Chemo nicht“, erklärt Jana.

Schwierig war auch der Verzicht. Sie durfte nur abgepackte, tiefgefrorene und gekochte Lebensmittel essen, keine Schokolade, Schnitzel nur ohne Panade, Wiener Würstchen nur ohne Haut. „Meine Mutter hat mir die Wiener Würstchen immer geschält, damit ich sie essen konnte“, erinnert sie sich. „Für mich war eigentlich die ganze Zeit Fastenzeit.“

Und dann kam der Rückfall…

Als alles vorbei war, beschloss ihr Vater umzuziehen. Ständig kamen von allen Seiten die Fragen, Grüße und Glückwünsche. „Das hat mein Papa nicht mehr ausgehalten. Und ich hab es sowieso nicht hören können, noch nie“, erzählt die 29-Jährige. Auf der Schule war sie ein halbes Jahr. Sie war glücklich, beliebt, eine der Besten in der Klasse. Und dann kam der Rückfall. Im Rückenmark und im Gehirn hatten sich erneut Krebszellen gebildet, damals war Jana 14 Jahre alt. „Meine ganze Familie hat geheult, alle“, sagt sie. „Kämpfen musste ich allein, aber die Familie macht mit. Anders schafft man das nicht.“

Sie dachte schon mal, sie wollte lieber sterben. Aber die meiste Zeit war sie davon überzeugt, dass sie es schafft. Sie stellte sich immer vor, wie sie danach aussieht. „Denn natürlich sieht man scheiße aus: blass, keine Haare mehr auf dem Kopf und aufgedunsen.“ Damals hat sie hohe Dosen an Cortison bekommen. Das Gesicht wurde rund, der Bauch kugelig, aber Arme und Beine blieben dünn. Was unangenehm für sie war: „Dass die Leute mich oft mitleidig angesehen haben“, erklärt sie.

Krebsfrei seit 2003

Jetzt steht sie auf der anderen Seite, krebsfrei seit 2003. In einer kleinen Praxis für Ergotherapie ist sie verantwortlich für die manuelle Therapie; knetet, massiert und bewegt die Hände ihrer Patienten, um beispielsweise deren Bewegungsfähigkeit wieder herzustellen. Manchmal sind auch Krebskranke darunter. Am Anfang war es nicht ganz einfach für sie, nach der Arbeit abzuschalten. Mittlerweile sieht sie es pragmatisch: „Ich kann jemanden in der Arbeit unterstützen, aber danach ist es nicht mehr meine Sache.“

Eine Ergotherapeutin muss sich in andere Menschen hineinversetzen können. Das kann Jana sehr gut, weil sie selbst schon einiges durchgemacht hat. Die Patienten schätzen ihre emphatische, liebenswürdige und offene Art und empfinden sie oft als starke seelische Stütze. Eine Zeit lang hat Jana überlegt, auf eine Krebsstation zu gehen. Den Plan hat sie dann allerdings doch wieder verworfen. Aber Menschen helfen, das wollte sie schon immer.

Neues Leben dank Knochenmarktransplantation

Beim Rückfall wurde sie mit einer Ganzkörper- und Kopfbestrahlung behandelt. Dadurch sollte das Knochenmark komplett zerstört werden. Das bedeutet: eineinhalb Stunden ruhig auf einer Liege liegen, damit die richtigen Stellen des Körpers beschädigt wird. Daraufhin kam sie in ein steriles Zimmer. Besuchen durfte sie immer nur eine Person – vermummt mit Mundschutz und Kittel. Danach bekam sie das Knochenmark ihres Bruders transplantiert.

Bei der Transplantation hatte Jana einen anaphylaktischen Schock, also eine allergische Reaktion mit Herzstillstand. Aber es ging noch einmal alles gut. Nach der Knochenmarktransplantation reagierte ihr Körper auf die neuen Blutstammzellen. Allerdings klang die Reaktion nicht ab, sondern wurde schlimmer. Die Haut riss auf. Sie konnte keine Kleider mehr tragen, weil sie an der Haut kleben blieben. Die Eltern waren ratlos, denn der Krebs war ja weg.

Sie kam vom Krankenhaus in Traunstein nach München. Auch dort wusste keiner weiter. Jeder diagnostizierte etwas anderes. Schließlich nahm ihr Vater sie aus dem Krankenhaus heraus und brachte seine Tochter zu einem privaten Onkologen. Dort bekam Jana Infusionen und nach einer Woche ging es ihr gut. Der Krebs war weg, seitdem ist sie gesund. Doch ein weiterer Kampf stand ihr bevor.

Richtig loslassen lernen

Als sie wieder in die Schule ging, fühlte sie sich schrecklich. Jeder sah in ihr die arme, kranke Jana. Sie wollte am liebsten in Ruhe gelassen werden. Die Mitschüler merkten das und wandten sich von ihr ab. Bei Jungs dachte sie sich früher, „der will nichts von mir, ich bin ja die Kranke und Hässliche.“

Von diesem Denken wollte sie wegkommen und probierte eine Menge aus: Psychologen, Mentaltrainer, Heilpraktiker. Die Mentaltrainerin hat ihr sehr geholfen, meint sie: „Ich hatte jemanden, der sagte, ich sei toll. Ich hatte zwar auch meine Familie zum Reden. Aber meine Mama sagt immer, ich sei toll. Ich wollte es einfach von jemand anderem hören.“ Damals wurde sie selbstbewusster und fand neue Freunde.

„Richtig losgelassen“ hat sie 2012, als sie die Ausbildung zur Ergotherapeutin begann, „da habe ich das erste Mal kein Kopftuch getragen.“ Mit ihrer Vergangenheit hat sie sich ausgesöhnt. Sie ist ein Teil ihres Lebens, der sie zu dem Menschen macht, der sie heute ist. Aber dieser Teil bestimmt nicht mehr ihre Gegenwart. Jetzt will sie einfach ihr Leben leben und in vollen Zügen genießen.

*Name von der Redaktion geändert

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